National 2019.07.02
So denkt Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt über Badminton
[Foto/Archiv: BadmintonPhoto]
Von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt
Ein besonders schneller Sport, bei dem alle Gelenke und Muskeln des menschlichen Körpers beansprucht werden: Angriff und Verteidigung, Vorwärtsdrang und Rückwärtsbewegung, Lauf und Sprung, »Smash« und »Dropshot« gehen beim Badminton ineinander über.
Wenn Malaysia gegen Indonesien um die Weltmeisterschaft im Badminton spielt, ist der Staatspräsident da, die Riesenhalle »kocht«, Millionen Fans sitzen vor den Fernsehschirmen. Wir Europäer kennen selbst im ärgsten Fußballtaumel eine derartige Begeisterung kaum. Badminton ist eine schier endlose Kettenreaktion körperlicher Explosionen: Immer wieder Sprünge, Schmetterschläge mit Kraft und Witz aus einem schier unerschöpflichen Reservoir von Kondition. Sicher ist es die anstrengendste aller Schlagsportarten - denn im Tennis hat man immer noch relativ lange Wege zwischen den Schlägen, es gibt häufige Pausen zwischen den Punkten und Games. Squash ist sicher auch sehr anstrengend, ein schnelles Spiel - aber man kann die Strapazen reduzieren, wenn man ein kluges Stellungsspiel gelernt hat, und man nimmt beim Squash die Schnelligkeit des von der Wand zurückprallenden Balles mit in den nächsten Schlag, während die Federkugel des Badminton immer wieder von Null extrem beschleunigt werden muss.
Für mich persönlich war Badminton lange Zeit eine Randsportart - bis mich ein familiäres Schlüsselerlebnis von meinen Vorurteilen kurierte. »Papi, komm in den Garten, wir spielen Badminton!« Freunde hatten meinem Sohn Kilian zum neunten Geburtstag eine komplette Badminton-Ausrüstung geschenkt. Mit Schläger, Netz, auslegbarer Linienbanderole. Und jetzt wollte er natürlich mit mir spielen. Ich dachte: O je, Federball! Da habe ich zum letzten Mal vor 30 Jahren den Schläger in der Hand gehabt... Dieses Kaffeetanten-Spiel, bei dem die Bälle wie Fallschirme herunterschweben, nein danke! Aber andererseits war es ein wunderschöner Sommertag, Platz und Netz waren schnell fixiert - und schon ging es los. Bereits nach wenigen Minuten hatte mich das Spiel völlig im Griff; ich fightete wie ein Besessener, war total dabei. »Ist das fetzig!« rief mein Sohn immer wieder völlig begeistert. Das Wort »fetzig« trifft diesen Federspiel-Spaß genau: Man kann mit aller Kraft drauflosfetzen, aber es ist ein kontrolliertes Draufdreschen, bei dem man sich voll verausgabt - selbst als Endvierziger gegen einen Neunjährigen.
Seit diesem Sommertag bin ich ein überzeugter Badminton-Fan. Ich habe einen Sport für mich entdeckt, der sich gerade- zu heimlich - und unheimlich rasant – in die Spiellust der Menschen geschlichen hat. Ein harter Sport, der alle Gelenke und Muskeln fordert und beansprucht. Ein besonders schneller Sport, bei dem man mit einem Schmetterball (»smash«) weitaus höhere Geschwindigkeiten als beim härtesten Tennis-Aufschlag erzielt: über 300 km/h. Ein läuferischer Sport, bei dem man in einem 90-Minuten-Match im statistischen Durchschnitt 7,3 km weit laufen muss - im Gegensatz zum Tennis, wo man in der gleichen Zeit nur 3,7 km zurücklegt. Ein schöner Sport, der einfach fasziniert und völlig zu Unrecht noch manchmal belächelt wird. Badminton - das ist Spaß und Schweiß, Rasanz und Anstrengung. Sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten können, um dann zu erfahren, wie - irgendwie! - der Wille den schwitzenden Körper noch mal dazu bringt, den Ball übers Netz zu schmettern - oder sanft zu returnieren, den Ball zu schlenzen; ihn mit Gefühl in die freie Ecke droppen...
Bei diesem Sport gehen Angriff und Verteidigung, Vorwärtsdrang und Rückwärtsbewegung, Lauf und Sprung, Smash und Dropshot ohne Bruch ineinander über. Das ist das eigentliche Geheimnis für den beispiellosen Boom dieses Sports. Inzwischen ist Badminton auch ein mächtiger Wirtschaftsfaktor geworden: Vier Badminton-Felder passen auf einen Tennisplatz - da rüsten viele Platzherren um. Badminton hat zudem den Vorteil, von der Käfig-Situation des Squash frei zu sein.
Als Sportarzt begeistert mich die komplexe Beanspruchung von Körper und Geist, die Herausforderung zu Hochleistung und Kreativität, dazu die soziale Ausgeglichenheit. Das ist wirklich ein Sport für jedermann, im Weltmaßstab. Eine wissenschaftliche Untersuchung am Hochschulärztlichen Institut, Abteilung Sportmedizin, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachens ergab, daß Badminton-Spieler zwischen 20 und 25 Jahren Herzfrequenzen bis zu 236 Schläge pro Minute erreichten - während es beim Tennis »nur« 210 Schläge pro Minute waren.
Natürlich ist es für diesen - wie für jeden! - Sport notwendig, sich ordentlich vorzubereiten: Bevor man auf den Court geht, muß der Körper warm sein. Der Puls muß in seiner Ruhefrequenz, also bei etwa 60 Schlägen pro Minute, durch leichtes Laufen - wenn möglich auf Laufbändern - in die richtige »Betriebsbereitschaft« gebracht werden. Topspieler laufen mehrmals um das Feld herum, dann spielen sie auch noch »Schattenbadminton«: Minutenlang imitieren sie ohne Ball – langsam, aber möglichst exakt – die Schläge und Ausfallschritte. So werden die Muskeln, die später gefordert werden, richtig warm und auch elastisch. Ich rate ebenso zu gymnastischen Übungen und vor allem zum Stretching. Badminton fordert den ganzen Körper und den gesamten Organismus, und so kann es, wie bei jedem Sport, zu Verletzungen kommen.
Besonders gefährdet sind die Achillessehne, das Sprung- und Kniegelenk; auch Schulter und Wirbelsäule können überlastet werden. Um so wichtiger ist deshalb neben der gründlichen Vorbereitung die richtige Ausrüstung: Der Schläger darf nicht zu schwer sein, sollte jedenfalls nicht mehr als 120 Gramm wiegen; die Schuhe müssen fachmännisch - am besten vom Orthopäden - angepaßt sein, um beim Abbremsen, Beschleunigen, Drehen und Wenden ein Umknicken zu verhindern. In den Sportgeschäften gibt es spezielle Badminton-Schuhe – der normale Turnschuh reicht einfach nicht. Achten Sie beim Kauf auf eine rutschfeste Sohle, ein gepolstertes Fußbett, Achillessehnenschutz und eine abriebfeste Kappenverstärkung. Wie Sie sich auch vorbereiten: Verletzungen können immer wieder passieren, gerade auch austrainierten Profis. Die zehnfache deutsche Meisterin Birgit Schilling aus Regensburg kam mit einem Schulterkapselriß in meine Praxis und mußte operiert werden. Denn die Belastungen des scheinbar so leichten Spiels sind enorm. Ein Beispiel nur: Der gesamte Bewegungsablauf beim Schmetterball läuft in weniger als einer Zehntelsekunde ab. Enorme Kräfte werden im Schultergelenk freigesetzt, und die müssen verkraftet werden.
Für Freizeitsportler rate ich deshalb zu einem, sagen wir mal: »maßvollen« Badminton. Es ist ja schließlich auch ein Spiel fürs Köpfchen, das sollte man nicht vergessen - ein Spiel mit einer langen Tradition: 2000 Jahre alte indische Höhlenzeichnungen zeigen bereits Federballspieler. Aus uralten Zeiten hat sich in Japan das Federballspiel »Oibane« erhalten, das über Neujahr von Frauen und Mädchen gespielt wird. Auch die Azteken und Inkas waren von diesem Sport fasziniert. Und in der Renaissance, als der Sport in Europa zum Freizeitvergnügen für die Adligen avancierte, spielte man Federball in den Schlössern, auf der Picknick-Wiese und sogar auf den Decks von Segelschiffen. Die Französische Revolution von 1789 hat das Federballspiel demokratisiert und es zu einem Sonntagsvergnügen der breiten Masse werden lassen. Englische Offiziere schließlich brachten das indische Federballspiel »Poona« um 1870 nach Großbritannien. Dort bekam es auch seinen heutigen Namen »Badminton«: weil der Herzog von Beaufort seinen noblen Gästen das filigrane Spiel auf seinem Landsitz Badminton erstmals vorführte. Nun ist Badminton längst ein Weltsport - mit Internationalen Meisterschaften, Europa- und Weltmeisterschaften, Damen- und Herren-Cups nach dem Vorbild des Tennis-Davis-Cups. Jede Woche spielen in Großbritannien sechsmal so viele Menschen Badminton, wie in die FuBballstadien gehen.
Der Badminton-Boom, da bin ich mir sicher, wird anhalten. Einfach weil dieser Sport für Berufsgestreßte eine ebenso willkommene wie naheliegende Möglichkeit zu intensiver Entspannung und vollkommener Ablenkung ist. Ich werde bald wieder mit meinem Sohn Kilian spielen. Nicht einfach den Federball über das 1,524 Meter hohe Netz dreschen. Sondern mit der überall erhältlichen Banderole die richtigen Platzmaße auslegen - um richtig herumfetzen und herumtoben zu können: um gemeinsam Spaß zu haben.
Auszug aus dem Buch "Hundert Prozent fit und gesund. Das Geheimnis des gesunden Menschen" - Heyne 1996.
Für mich persönlich war Badminton lange Zeit eine Randsportart - bis mich ein familiäres Schlüsselerlebnis von meinen Vorurteilen kurierte. »Papi, komm in den Garten, wir spielen Badminton!« Freunde hatten meinem Sohn Kilian zum neunten Geburtstag eine komplette Badminton-Ausrüstung geschenkt. Mit Schläger, Netz, auslegbarer Linienbanderole. Und jetzt wollte er natürlich mit mir spielen. Ich dachte: O je, Federball! Da habe ich zum letzten Mal vor 30 Jahren den Schläger in der Hand gehabt... Dieses Kaffeetanten-Spiel, bei dem die Bälle wie Fallschirme herunterschweben, nein danke! Aber andererseits war es ein wunderschöner Sommertag, Platz und Netz waren schnell fixiert - und schon ging es los. Bereits nach wenigen Minuten hatte mich das Spiel völlig im Griff; ich fightete wie ein Besessener, war total dabei. »Ist das fetzig!« rief mein Sohn immer wieder völlig begeistert. Das Wort »fetzig« trifft diesen Federspiel-Spaß genau: Man kann mit aller Kraft drauflosfetzen, aber es ist ein kontrolliertes Draufdreschen, bei dem man sich voll verausgabt - selbst als Endvierziger gegen einen Neunjährigen.
Seit diesem Sommertag bin ich ein überzeugter Badminton-Fan. Ich habe einen Sport für mich entdeckt, der sich gerade- zu heimlich - und unheimlich rasant – in die Spiellust der Menschen geschlichen hat. Ein harter Sport, der alle Gelenke und Muskeln fordert und beansprucht. Ein besonders schneller Sport, bei dem man mit einem Schmetterball (»smash«) weitaus höhere Geschwindigkeiten als beim härtesten Tennis-Aufschlag erzielt: über 300 km/h. Ein läuferischer Sport, bei dem man in einem 90-Minuten-Match im statistischen Durchschnitt 7,3 km weit laufen muss - im Gegensatz zum Tennis, wo man in der gleichen Zeit nur 3,7 km zurücklegt. Ein schöner Sport, der einfach fasziniert und völlig zu Unrecht noch manchmal belächelt wird. Badminton - das ist Spaß und Schweiß, Rasanz und Anstrengung. Sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten können, um dann zu erfahren, wie - irgendwie! - der Wille den schwitzenden Körper noch mal dazu bringt, den Ball übers Netz zu schmettern - oder sanft zu returnieren, den Ball zu schlenzen; ihn mit Gefühl in die freie Ecke droppen...
Bei diesem Sport gehen Angriff und Verteidigung, Vorwärtsdrang und Rückwärtsbewegung, Lauf und Sprung, Smash und Dropshot ohne Bruch ineinander über. Das ist das eigentliche Geheimnis für den beispiellosen Boom dieses Sports. Inzwischen ist Badminton auch ein mächtiger Wirtschaftsfaktor geworden: Vier Badminton-Felder passen auf einen Tennisplatz - da rüsten viele Platzherren um. Badminton hat zudem den Vorteil, von der Käfig-Situation des Squash frei zu sein.
Als Sportarzt begeistert mich die komplexe Beanspruchung von Körper und Geist, die Herausforderung zu Hochleistung und Kreativität, dazu die soziale Ausgeglichenheit. Das ist wirklich ein Sport für jedermann, im Weltmaßstab. Eine wissenschaftliche Untersuchung am Hochschulärztlichen Institut, Abteilung Sportmedizin, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachens ergab, daß Badminton-Spieler zwischen 20 und 25 Jahren Herzfrequenzen bis zu 236 Schläge pro Minute erreichten - während es beim Tennis »nur« 210 Schläge pro Minute waren.
Natürlich ist es für diesen - wie für jeden! - Sport notwendig, sich ordentlich vorzubereiten: Bevor man auf den Court geht, muß der Körper warm sein. Der Puls muß in seiner Ruhefrequenz, also bei etwa 60 Schlägen pro Minute, durch leichtes Laufen - wenn möglich auf Laufbändern - in die richtige »Betriebsbereitschaft« gebracht werden. Topspieler laufen mehrmals um das Feld herum, dann spielen sie auch noch »Schattenbadminton«: Minutenlang imitieren sie ohne Ball – langsam, aber möglichst exakt – die Schläge und Ausfallschritte. So werden die Muskeln, die später gefordert werden, richtig warm und auch elastisch. Ich rate ebenso zu gymnastischen Übungen und vor allem zum Stretching. Badminton fordert den ganzen Körper und den gesamten Organismus, und so kann es, wie bei jedem Sport, zu Verletzungen kommen.
Besonders gefährdet sind die Achillessehne, das Sprung- und Kniegelenk; auch Schulter und Wirbelsäule können überlastet werden. Um so wichtiger ist deshalb neben der gründlichen Vorbereitung die richtige Ausrüstung: Der Schläger darf nicht zu schwer sein, sollte jedenfalls nicht mehr als 120 Gramm wiegen; die Schuhe müssen fachmännisch - am besten vom Orthopäden - angepaßt sein, um beim Abbremsen, Beschleunigen, Drehen und Wenden ein Umknicken zu verhindern. In den Sportgeschäften gibt es spezielle Badminton-Schuhe – der normale Turnschuh reicht einfach nicht. Achten Sie beim Kauf auf eine rutschfeste Sohle, ein gepolstertes Fußbett, Achillessehnenschutz und eine abriebfeste Kappenverstärkung. Wie Sie sich auch vorbereiten: Verletzungen können immer wieder passieren, gerade auch austrainierten Profis. Die zehnfache deutsche Meisterin Birgit Schilling aus Regensburg kam mit einem Schulterkapselriß in meine Praxis und mußte operiert werden. Denn die Belastungen des scheinbar so leichten Spiels sind enorm. Ein Beispiel nur: Der gesamte Bewegungsablauf beim Schmetterball läuft in weniger als einer Zehntelsekunde ab. Enorme Kräfte werden im Schultergelenk freigesetzt, und die müssen verkraftet werden.
Für Freizeitsportler rate ich deshalb zu einem, sagen wir mal: »maßvollen« Badminton. Es ist ja schließlich auch ein Spiel fürs Köpfchen, das sollte man nicht vergessen - ein Spiel mit einer langen Tradition: 2000 Jahre alte indische Höhlenzeichnungen zeigen bereits Federballspieler. Aus uralten Zeiten hat sich in Japan das Federballspiel »Oibane« erhalten, das über Neujahr von Frauen und Mädchen gespielt wird. Auch die Azteken und Inkas waren von diesem Sport fasziniert. Und in der Renaissance, als der Sport in Europa zum Freizeitvergnügen für die Adligen avancierte, spielte man Federball in den Schlössern, auf der Picknick-Wiese und sogar auf den Decks von Segelschiffen. Die Französische Revolution von 1789 hat das Federballspiel demokratisiert und es zu einem Sonntagsvergnügen der breiten Masse werden lassen. Englische Offiziere schließlich brachten das indische Federballspiel »Poona« um 1870 nach Großbritannien. Dort bekam es auch seinen heutigen Namen »Badminton«: weil der Herzog von Beaufort seinen noblen Gästen das filigrane Spiel auf seinem Landsitz Badminton erstmals vorführte. Nun ist Badminton längst ein Weltsport - mit Internationalen Meisterschaften, Europa- und Weltmeisterschaften, Damen- und Herren-Cups nach dem Vorbild des Tennis-Davis-Cups. Jede Woche spielen in Großbritannien sechsmal so viele Menschen Badminton, wie in die FuBballstadien gehen.
Der Badminton-Boom, da bin ich mir sicher, wird anhalten. Einfach weil dieser Sport für Berufsgestreßte eine ebenso willkommene wie naheliegende Möglichkeit zu intensiver Entspannung und vollkommener Ablenkung ist. Ich werde bald wieder mit meinem Sohn Kilian spielen. Nicht einfach den Federball über das 1,524 Meter hohe Netz dreschen. Sondern mit der überall erhältlichen Banderole die richtigen Platzmaße auslegen - um richtig herumfetzen und herumtoben zu können: um gemeinsam Spaß zu haben.
Auszug aus dem Buch "Hundert Prozent fit und gesund. Das Geheimnis des gesunden Menschen" - Heyne 1996.
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